Ich würd’ gerne Yoga machen, trau mich aber nicht
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Ich würd’ gerne Yoga machen, trau mich aber nicht

Von Kristin Rübesamen

Aller Anfang ist schwer, aber nichts ist so schön, wie etwas Neues zu beginnen. Am besten ohne Angst, aber das sagt sich so leicht. Folgendes wurde uns neulich erzählt. Wir dachten, da müssen wir antworten:

Seit Jahren spiele ich mit dem Gedanken, Yoga zu üben. Mehr als ein Gedanke war es nicht und ich hätte es auch nie zugegeben. Denn was verbindet mich mit diesen elastischen jungen Frauen, die stets mit einem wissenden Lächeln um die Mundwinkel herumrennen, nein, schweben, als wüßten sie etwas, was ich nicht weiß? Genau: nichts.

Meine Rückenschmerzen, dieses Gefühl, meinen Körper mit Argwohn und Gereiztheit (schon wieder krank, zu fett, zu steif, zu plump) zu begegnen und die Sehnsucht danach, innezuhalten, nahmen jedoch zu über die Jahre. Logischerweise reagierte ich auf die Empfehlungen meiner Umgebung („Mach doch mal Yoga, Du wirst es lieben“) mit leichter Aggression.

Dabei gefiel mir die Vorstellung, auf einer Matte herumzuturnen, zu Klaviermusik, in den Bauch zu atmen und verrückte Sachen anzustellen. Als Kind war ich sogar ziemlich gut im Turnen, aber heute bekomme ich schon einen roten Kopf, wenn ich nur meine Schuhe zubinden muss. Und ausziehen muss ich sie ja wohl.

Regelrecht Panik habe ich, weil

1. ich überhaupt nicht beweglich bin. Wenn ich es überhaupt auf den Boden schaffe, komme ich garantiert nie wieder zum Stand.

Du musst nicht flexibel sein, vor allem nicht in den Anfängerklassen. Außerdem ist jeder Körper anders und verdient Liebe und Respekt. Alle Yogis wissen das, niemand wird komisch gucken.

2. ich nicht wie ein Idiot dastehen will. Mir wird ganz heiß bei dem Gedanken, dass ich im Hund auf der Matte schwitze und alle schauen auf meinen Hintern.

Das Schöne im Yoga ist, dass wir die Aufmerksamkeit nach innen ziehen und gar keine Zeit haben, die Anderen zu beurteilen. Diese Konzentration ist extrem anstrengend, aber auch befreiend. Ebenso befreiend ist es, sich vorübergehend als Idiot zu fühlen. Alle fühlen sich dämlich in bestimmten Haltungen, aber dann kommt der Moment, an dem wir spüren: Total egal, Hauptsache, der Atem fließt.

3. ich mit Sicherheit die Schlechteste im ganzen Raum bin. Mein Selbstbewußtsein wackelt ohnehin schon. Wozu soll ich mich noch mehr demütigen lassen?

Alle sind willkommen beim Yoga: Dicke, Dünne, Erfolgreiche, Modetussis, kreative Wirrköpfe, Omas, Gandhis, Aussteiger und Beamte. Es werden weder Noten verteilt noch Leistungen kommentiert noch Vergleiche angestellt. Im Gegenteil: Das Gemeinschaftsgefühl, gemeinsam zu atmen und zu schwitzen, läßt keine Platz für Vergleiche. Abgesehen davon: alle lieben Anfänger.

4. ich mit Sicherheit pupsen werde. Und dann vor Peinlichkeit sterben werde.

Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: 1. Die Chance, dass es passiert, verringert sich gegen Null, wenn man zwei Stunden vor der Praxis nichts mehr isst, bei großen Mahlzeiten sogar 5 Stunden und generell blähendes Essen vermeidet. 2. Wenn es passiert, tun alle so, als wäre nichts passiert und machen weiter. Im schlimmsten Fall lüftet der Lehrer ganz diskret. Im Übrigen: Er hat das schon tausend Mal erlebt und denkt sich nichts dabei.

5. ich hinfallen und mir das Handgelenk brechen könnte. Himmel, ich könnte meinen Job verlieren, wenn ich nicht mehr tippen kann.

Anfänger machen keinen Unterarmstand oder schwierige Armbalancen. Bevor es soweit ist, wirst du gelernt haben, wie du deine Knochen, deine Muskeln und deinen Atem einsetzt. Dennoch wirst du gelegentlich fallen, da der Boden aber immer nah ist, ist es nicht schlimm. Im Gegenteil: Beim Fallen lernen wir am besten, wie wir unsere Stärke einsetzen können. Es macht sogar Spass.

6. ich anfange, zu weinen.

Viele Leute beginnen Yoga in oder nach einer Krise, viele macht auch einfach der ungewohnte Kontakt mit dem Körper emotional. Das ist gerade der Witz beim Yoga: Körper und Geist kommen zusammen. Richte dich also ruhig darauf ein, dass du die ersten Male, wenn nicht sogar Monate, ein wenig weinen musst, im Savasana oder auch später. Alle haben das am eigenen Leib erlebt, und jeder weiß, wie gut es tun kann, die Tränen einfach laufen zu lassen. Mach am besten keine große Szene draus und lass die Tränen fliessen.

7. mich die anderen nicht mögen.

Yoga im Studio, besonders in Großstädten, ist etwas ganz Besonderes. Leute mit denselben Bedürfnissen kommen zusammen. Die meisten von uns suchen die Ruhe und die Konzentration, den Abstand zu unserem sonstigen Leben. Das kann heißen, dass wir schweigsamer sind als sonst. Aber nicht unfreundlicher. Yogis sind freundliche Menschen, die gelernt haben, Anteil zu nehmen, nicht nur an sich selbst, sondern an allem. Ausgedehnte Gespräche im Studio selbst, sind aus Zeitgründen nicht möglich, du solltest auch respektieren, dass die anderen tatsächlich in Ruhe gelassen werden wollen, dennoch sind Yogis für einen liebevollen und herzlichen Umgang miteiander bekannt.

Noch Fragen? Dann her damit!

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .