Sadhana – deine tägliche Yoga-Praxis
Wir alle haben Rituale, die wir täglich wiederholen – der erste Kaffee am Morgen, das Lesen der Nachrichten oder auch das Zähneputzen vor dem Zubettgehen. Im Yoga nennen wir unsere tägliche Praxis Sadhana. Sie ist unglaublich wertvoll, weil erst die Regelmäßigkeit und die Wiederholung Tag für Tag die heilsame Wirkung in ihrer vollen Kraft in deinem Leben verankern. Hier erfährst du, was traditionell zu Sadhana gehört und wie du diese Praxis in deinem modernen Alltag umsetzen kannst.
Was heißt Sadhana?
Das Sanskrit-Wort Sadhana bedeutet spirituelle Praxis, Bemühungen, Übungen, Gewinn. Gemeint sind Handlungen, die täglich mit der Zielsetzung wiederholt werden, sich dem Göttlichen anzunähern und den Zustand der Erleuchtung zu erlangen. Sadhana sind wiederkehrende Riten, die zeigen, dass du nach dem Wahrhaftigen, dem Ewigen, dem Unvergänglichen strebst. Sadhana ist ein Erfordernis, aber auch ein Werkzeug, um ein heiliges Ziel durch hingebungsvolles Bemühen zu erreichen.
Diese tägliche spirituelle Ausrichtung, die du absichtlich, sorgfältig und achtsam wiederholst, ist erst einmal eine Vereinbarung mit dir, ein Versprechen an dich selbst – die wiederkehrende Erinnerung daran, dass der Alltag nicht nur ein dumpfes Sein aus Schlafen, Essen, Trinken und Arbeiten ist. Tägliche Rituale helfen dir, eine Struktur in deinem Streben nach Erkenntnis, nach Erwachen zu finden und zu festigen. Darüber hinaus ist dieses tägliche Versprechen, das du durch die immer gleiche Handlung ausdrückst, auch ein Versprechen deines irdischen Seins an das höhere Sein. Denn die Praxis von Sadhana beinhaltet eine Ehrerbietung an das Höhere, ganz gleich wie auch immer du diese hochschwingenden Dimensionen nennst: Leben, Spirit, Göttlichkeit, Quelle, Schöpfung – oder ganz anders, so wie es eben für dich stimmig ist.
Die indische Tradition: Woher kommt Sadhana?
Im Hinduismus ist es selbstverständlich, täglich zur frühen Morgenstunde zu beten, den diversen indischen Gottheiten Opfergaben zu weihen (das nennt sich Puja) und allabendlich für den ge- und erlebten Tag zu danken. Ganz so wie es (früher mehr als heute) im Christentum auch eine Gebetstradition gab. So gut wie jede:r Inder:in erfüllt, einzeln oder in der Gruppe, sein Sadhana mit Mantren-Gesang oder -Rezitation. Auch die tägliche Praxis von Meditation oder Hatha Yoga wird als Sadhana bezeichnet – wenn die Praxis dem yogischen Streben nach Samadhi geweiht und nicht nur ein Fitness-Workout ist. Ebenso sind ausgiebige Reinigungsrituale Sadhana. Etwa das morgendliche Bad im heiligen indischen Fluss Ganges in Varanasi, das so wie gut wie alle Einwohner der Stadt – noch im Dunkeln – nehmen, um Körper und Geist reinzuwaschen. Als Reisender in Indien sollte man sich dieses Sadhana übrigens auf keinen Fall entgehen lassen!
Aber werden wir konkret: Indische Gurus führen das folgende ausgiebige Sadhana-Ritual täglich aus und widmen sich danach, also den gesamten Rest des Tages, der Meditation und ihrem Streben nach Samadhi.
1. Aufwachen: Sie wachen 48 Minuten vor Sonnenaufgang (also zwischen 3 bis 6 Uhr) in der „Zeit des Wissens“ auf.
2. Toilette: Regelmäßiger morgendlicher Stuhlgang dient der Gesunderhaltung durch Abtransport der nachts angesammelten Schlacken im Darm.
3. Mundreinigung: Danach folgt die Reinigung der im Mund angesammelten Schlacken mit bitter-herb-scharfer Zahnpasta und einem Zungenschaber sowie Ölziehen mit Sesamöl. Dazu ziehen sie etwa zehn Minuten ohne Ausspucken Öl im Mund hin und her, bis sich der Geschmack des Öls verändert.
4. Augenreinigung: Die Yogis reiben nun winzige Mengen Ghee (Butterfett) in die Augenwinkel ein, um Ablagerungen im Auge zu reinigen und zu minimieren.
5. Ohrenpflege: Sie träufeln je einen Tropfen Sesam- oder Kokosöl in die Ohren.
6. Nasenreinigung: Sie reiben dann je einen Tropfen Nasya-Öl (ayurvedisches Nasen-Öl) in jedes Nasenloch ein und ziehen es kräftig einatmend ein. Alternativ reiben sie ein wenig Ghee als Pflege der Nasenschleimhäute ein, führen eine Neti-Salzwasserspülung durch oder führen einen Faden in ein Nasenloch ein, der über Mund oder gar Ohren wieder herausgezogen wird. Letzteres ist also eher etwas für Hartgesottene.
7. Eigenmassage:
Als Nächstes bürsten sie den gesamten Körper ausgiebig, beginnend an den Füßen, und reiben ihn anschließend mit einem – ihrem ayurvedischen Dosha entsprechenden – Öl ein.
8. Trinken: Danach trinken die Yogis etwa einen Liter gekochtes, heißes Wasser.
9. Asana: Als Nächstes üben sie 60 Minuten Hatha Yoga und Pranayama (das Ölreiben und das heiße Trinkwasser haben den Körper bereits aufgewärmt).
10. Körperreinigung: Danach gönnen sie sich ein Bad oder eine Dusche ohne Seife mit allerhöchstens lauwarmem, eher kühlem Wasser.
11. Puja: Darauf folgen Gaben an die Götter.
12. Meditation: Für den Rest des Tages medieren die Yogis nun.
Klingt easy, oder?!
Sadhana für deine tägliche Praxis – geht's auch eine Nummer kleiner?
Ja, geht es. Wir leben im Westen bereits seit rund einem Jahrhundert in keiner devoten Struktur mehr, in der man zu strikten Zeiten rigide Disziplinen ausführt. Allerdings streben wir in der heutigen Gesellschaftsform auch nicht mehr nach höherer Erkenntnis, Erleuchtung – wohl aber nach Geld, was tägliche Arbeitsleistung erfordert.
Dennoch kannst du deinen Yoga-Lebensstil leben, indem du dir ein kleines Ritual angewöhnst, das du täglich möglichst zur gleichen Zeit wiederholst und mit dem Gedanken und der Dankbarkeit dafür anreicherst, dass dein Leben auf Erden mit der Schöpfung, der Urquelle verbunden ist. Mit deiner individuellen Interpretation von Sadhana ehrst du so die Göttlichkeit in dir.
Finde für deine persönliche Praxis heraus, wann für dich ein gutes Zeitfenster für Sadhana ist und wie lange du täglich wiederkehrend dafür einräumen möchtest. Es kommt keinesfalls auf die Quantität, also die Dauer des Sadhana an, vielmehr auf die Qualität – also lieber innig und kurz als erzwungen lang.
Tipp: Der Morgen bietet sich als ideales Zeitfenster an, weil das die „Zeit des Wissens” ist, in der dein reiner Geist durch die Nachtruhe mit den feinstofflichen Dimensionen verbunden und noch nicht von Alltagsanforderungen überlagert ist. Such dir aus den nachstehenden Vorschlägen etwas aus oder kreiere dein eigenes, für dich machbares Sadhana. Übe das dann immer, immer, immer wieder täglich zur selben Zeit. Du wirst sehen: Es wird Magisches passieren.
Vorschläge für dein Sadhana
1. Segnung: Setze dich nach dem Aufwachen auf und danke, noch bevor deine Füße die Erde berühren, dem Universum oder der Natur für deine Lebendigkeit, segne deinen neuen Lebenstag und die Mutter Erde.
2. Pranayama:
Praktiziere eine einfache Bewusstheitsatmung. Denke einatmend „Ich” und ausatmend „bin”. Alternativ kannst du einige Atemübungen des Pranayama machen, um die Lebenskraft des Prana zu ehren.
3. Körpergott: Dich waschen und deine Zähne putzen tust du ohnehin. Erweitere dein Pflegeprogramm um Zungeschaben oder Körperölung (vor dem Duschen!), um das Göttliche in dir und damit die Schöpfung zu ehren.
4. Japa: Flüstere sanft einige Dutzend Male ein Mantra oder eine immer gleiche Affirmation, etwa „Ich bin voller Lebensfreude und Dankbarkeit”.
5. Yoga: Deine Yogamatte liegt bereit, und du stellst oder setzt dich auf diesen heiligen Platz. Schließe die Augen und spüre dich. Spüre deinen Körper und deinen Geist, erfühle deine Verbundenheit zur Urquelle. Und dann lass Bewegungen aus deinem Inneren heraus entstehen, also Asanas oder Rhythmen, Gesang oder Wellen der Liebe, die du mit anderen teilst.
In diesem Video gibt Valentin Alex dir Tipps für dein tägliches Sadhana:
Sadhana ist deine heilige Zeit deines Tages. Im Rhythmus täglicher Wiederholung entsteht Magie auf allen Ebenen. Dein Körper und dein Geist werden nach diesen Momenten vollkommener Gegenwärtigkeit süchtig werden. Auch dein Umfeld wird wohlwollend auf deine morgendlichen Rituale reagieren, weil aus dir harmonische Schwingungen in das kollektive Energiefeld gelangen – und von dort aus die Schwingungen über die ganze Erde fließen, und dich mit feinstofflichen Dimensionen und mit der Schöpfung verbinden.
Love and light
Birgit Feliz Carrasco